Artikel aus der Bietigheimer Zeitung vom 27.11.2010

SPD-Kreisverband feiert Wiedergründung vor 65 Jahren - Langjährige Genossen erzählen

65 Jahre sind vergangen, seit sich der SPD-Kreisverband nach dem Zweiten Weltkrieg erneut gründete. Bei einer Feierstunde am Donnerstag im Haus der SPD erzählten Parteimitglieder von ihren Erfahrungen.

Als der SPD-Kreisverband im Jahr 1945 neuen Mut fasste und nach den Kriegswirren wieder nach vorne blickte, hatte Martin Klumpp aus Großbottwar alles andere als Politik im Sinn. Er befand sich zu jener Zeit auf der Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft und kämpfte damals ums nackte Überleben, denn sein Elternhaus war Bombenangriffen zum Opfer gefallen, und er wusste zunächst nicht wohin. "Ich hatte eine unheimliche Wut auf alle, welche das Regime des Dritten Reiches unterstützt hatten. Wenn ich in diesen Tagen ein politisches Ziel hatte, dann ging es mir vor allem um die Friedensfähigkeit der Politik. Einen solchen Krieg wollte ich nicht noch einmal erleben", erzählte Klumpp bei einer Feierstunde im Haus der SPD in Ludwigsburg am Donnerstagabend.

In engen Kontakt zur Sozialdemokratie kam er schließlich bei einem Praktikum während seines Architekturstudiums. Sein Büropartner in einem Unternehmen in Bietigheim-Bissingen war kein Geringerer als SPD-Urgestein Claus Weyrosta. "Auch die Handwerker aus Bietigheim, mit welchen wir Kontakt hatten, waren überzeugte Sozialdemokraten. Dennoch habe ich mir mit meinem Parteieintritt lange Zeit gelassen. Erst die Amtszeit Willy Brandts gab für mich den Ausschlag, in die Partei einzutreten", berichtete Klumpp, der nunmehr seit 40 Jahren seiner Partei die Treue hält und sie auch im Ludwigsburger Kreistag vertrat.

Willy Brandt sei für ihn ein Mann der Visionen gewesen, der nicht nur die Tagespolitik im Auge gehabt habe. "Diese Zeit hat mich ganz stark geprägt", so der 83-Jährige, der eine solche Persönlichkeit in den Reihen der heutigen SPD vergeblich sucht. "Die SPD hat in der zurückliegenden Zeit zwei Richtungsfehler begangen. Zunächst einmal hat sie es verschlafen, rechtzeitig grüne Politik zu machen. Das war fast genauso schlimm wie die Hartz-IV-Gesetze. Sollte sich die SPD noch einen dritten derartigen Fehler erlauben, kann sie gleich ganz aufhören", sagte Klumpp.

Auch Walter Banger aus Marbach, seit 54 Jahren Mitglied in der SPD, gestand freimütig ein, dass sein Parteibuch in den vergangenen 50 Jahren viermal zumindest symbolisch seine Farbe gewechselt habe. "In Gedanken bin ich schon mindestens zehnmal aus der SPD ausgetreten. Aber die grundsätzliche Linie der Partei hat mich bei der Stange gehalten. Die zieht sich von den Gegenstimmen zum Ermächtigungsgesetz 1933 bis zu Gerhard Schröders Ablehnung einer deutschen Beteiligung am Irak-Krieg wie ein roter Faden durch die Parteigeschichte", so Banger.

Dies ist auch einer der Gründe, warum Erika Raupp aus Remseck-Aldingen den Glauben an die SPD nie verloren hat. "Ich bin seit 50 Jahren in der SPD. Beeindruckt und geprägt hat mich vor allem der Bundestags-Wahlkampf 1972. Von der Gegenseite gab es damals eine große Hetzjagd gegen uns und vor allem die Jusos. Ich habe ein Flugblatt mit einem Foto von mir und meinen beiden Töchtern gedruckt, um beispielsweise für die Gesamtschule und eine bessere ärztliche Versorgung aller Patienten einzutreten." Auch ein Kochbuch bekannter Parteifunktionäre war ein Element jener Wahlkampfstrategie. "Damals war eine ungeheure Bewegung in den Reihen der SPD. Die Frauen veranstalteten Spielenachmittage für Kinder in den Sommerferien. Es gab Informationsstände mit Geschenktipps für Kinder, damit diese kein Kriegsspielzeug erhalten und vieles mehr. Die SPD hat sich nicht versteckt. Wir müssen alle daran arbeiten, dass es heute auch wieder so wird", machte Raupp deutlich.

Redaktion: MICHAELA GLEMSER